19 Orn

Orn hörte das schreckliche Kreischen und erkannte seine Bedeutung augenblicklich. Der Raubsäuger hatte Ornette erwischt und getötet. Nun würde er auf ihn losgehen.

Er empfand keine Trauer, nur ein Verlustgefühl. Jetzt hatte er keine Partnerin mehr, und die Linie seiner Spezies endete, es sei denn, er fand eine andere Partnerin oder bewahrte die Eier. Aber weder er noch seine Eier würden überleben, wenn ihn dieser Mensch erwischte - und das Säugerbaby würde ebenfalls umkommen.

Orn dachte nicht in der Weise, wie es Reps und Säuger taten. Sein Bewußtsein war Erfahrung, und die Erfahrung reichte Millionen von Jahreszeiten zurück: ein Rassengedächtnis, in ihm waren keinerlei Worte enthalten. Für ihn war »Säuger« jener Komplex von Eindrücken, die durch die Gegenwart von felltragenden, kindersäugenden, warmblütigen Vertebraten hervorgerufen wurden. »Rep«, »Aves« und die anderen Repräsentanten solcher Klassen waren ähnliche Vorstellungen.

Orn kannte die Weise, in der seine Art überlebt hatte, bis zurück zu jener Zeit, als seine Spezies getrennt von anderen Aves existiert hatte. Er war bestens für das Überleben in der Welt seiner Vorfahren gerüstet. Aber diese Welt hatte sich verändert, und das machte das Überleben gefahrvoll.

Orns Gedächtnis enthielt keine Erinnerung an die Jagd durch einen Raubsäuger, denn Säuger waren für den größten Teil ihrer Lebensdauer als Spezies leichte Beutetiere gewesen. Deshalb hatte er nie einer Bedrohung dieser Art gegenübergestanden. Aber Orn verstand sich hervorragend darauf, sich zu verbergen und zu jagen - tatsächlich waren beides Aspekte desselben Vorgangs. Er wußte, daß dieser Säuger so mörderisch und tödlich war wie ein junger Tyrann. Wenn er ihn erwischte, würde er ihn töten und die Eier und das Baby in seinen Besitz bringen.

So floh er, und er tat es mit großer Umsicht. Er steckte seinen langen Hals durch die Vorderschleife der Nestkarre und zog sie hinter sich her. Das Baby fing an, Lärm zu machen. Sofort drehte Orn den Kopf zurück, bog den Hals nach unten und fand das Stück Holz, das bei derartigen Gelegenheiten benutzt wurde. Er schob es in den Mund des Babys. Das Baby saugte daran und hörte auf zu schreien.

Orn zerrte den Wagen in ein dichtes Gebüsch in der Nähe eines ungestüm fließenden Bachs und sorgte so dafür, daß er sich nicht durch Sicht oder Geräusch verraten konnte. Er wusch Schnabel und Füße in dem Bach und setzte dadurch zeitweilig seinen typischen Körpergeruch herab. Dann verwischte er die Spuren, die die Wagenräder hinterlassen hatten, indem er sorgfältig Kiefernnadeln, Palmwedel und halb verdorrtes Gesträuch über die Spur legte, so daß sie vom Waldboden nicht zu unterscheiden war. Er fand den verwesenden, von Insekten übersäten Leichnam eines kleinen Reptils und legte ihn in der Nähe nieder. Dieser Geruch würde alles andere überdecken.

Dies waren nicht die Überlegungen, die Orn anstellte, denn sein Verstand arbeitete nicht auf diese Weise. Es war lediglich die aufgespeicherte und hochentwickelte Erfahrung seiner Spezies. Wie die Gliederfüßler ausgeklügelte Gänge konstruierten und viele spezialisierte Arbeiten ausführten, handelte er in jener Weise, die das Überleben immer diktiert hatte. Daß er es bewußt tat, spiegelte nur die Begabung seiner Spezies wider: Seine Erinnerungen waren viel umfangreicher als die der Gliederfüßler, Reps oder irgendwelcher anderer Spezies und erforderten weitaus mehr Klugheit bei der Entscheidungswahl. Aber es war Erinnerung, nicht Überlegen.

Nachdem die Tarnung abgeschlossen war, wusch er sich abermals, watete bachabwärts und entdeckte ein kleines grasendes Rep: einen Baby-Tricer. Er sprang ihn an und bohrte seine Krallen in den Rücken der Kreatur, unmittelbar unterhalb des schützenden Kopfkragens.

Das begriffsstutzige Rep stieß einen Schmerzensschrei aus und warf den Kopf herum. Aber Orn behielt seine Position gerade außerhalb der Reichweite des alles zerschmetternden Knochens bei und bohrte seine kraftvollen Krallen noch tiefer hinein, wobei er mit den Stummelflügeln schlug, um die Balance zu bewahren. Unfähig, den Angreifer abzuschütteln, geriet der Tricer in Panik. Orn ritt auf ihm, lenkte ihn, indem er den Griff des einen oder des anderen Fußes verstärkte, und ve- ranlaßte ihn dadurch dazu, dem anwachsenden Schmerz zu entfliehen.

Schließlich sprang Orn herunter und überließ das Rep sich selbst. Im Endeffekt war er geflogen: Er war ein ganzes Stück weitergekommen, ohne eine erkennbare Spur hinterlassen zu haben. Kein Räuber konnte seinen Weg anhand von Sicht oder Geruch bis zurück zu dem verborgenen Nest verfolgen.

Jetzt machte er eine ganz offene Spur, die mittelbar vom Nest wegführte. Er wußte, daß der Raubsäuger sie zum gegebenen Zeitpunkt wahrnehmen und erkennen würde. Orn beschrieb mehrere weite Kreis, so daß es keinen offensichtlichen Endpunkt gab, der sein Manöver verraten konnte, und machte sich dann auf den Weg zum Territorium des größten und wildesten Tyrannen im ganzen Tal. Der Mensch würde, wenn er dieser Spur folgte, einiges an Ablenkung finden!

Aber Orn hatte den Scharfsinn dieser Bestie unterschätzt. Der Säuger folgte seiner Lockspur nicht unmittelbar, sondern legte sich in den Hinterhalt.

Nur das Schweigen der Gliederfüßler des Gebiets machte den Vogel aufmerksam. Normalerweise waren die kleinen fliegenden, krabbelnden und grabenden Kreaturen überall in der Umgebung hörbar, es sei denn, eine unnatürliche Gegenwart hatte sie alarmiert. Als

Orn diese Zone des Schweigens betrat, wußte er, daß irgend etwas nicht stimmte.

Leise zog er sich zurück, aber der Säuger war sich seiner bewußt. Neben ihm ging ein Strauch in Flammen auf: der Lichtblitz aus der Waffe des Säugers.

Orn rannte. Der Säuger verfolgte ihn. Orn war schnell, denn seine Art hatte ihre Beute stets bis zur Erschöpfung gehetzt. Aber dieser Säuger war viel schneller auf seinen Füßen als die anderen seiner Art, der Veg und die 'Quilon. Orn mußte sich außerordentlich anstrengen, um ihn hinter sich zu lassen, und dabei war er nicht in der Lage, seine Spur richtig zu verwischen.

Er konnte ihn in eine lange Jagd verwickeln und hoffen, ihn dadurch zu ermüden: Orn konnte tagelang laufen. Aber in der Zwischenzeit wurden die Eier langsam kalt. Die Wärme des Säugerbabys neben ihnen im Nest und die Feder- und Halmabdeckung verlängerte die Zeitspanne, in der die Eier allein gelassen werden konnten - aber die Nacht kam. Sowohl Eier als auch Baby brauchten Fürsorge, die .einen Wärme, das andere Nahrung. Wenn das Baby nicht gefüttert wurde, würde es Lärm machen, und das würde den Raubsäuger oder ein Raubrep anlocken. Diese Dinge wußte Orn aus jüngster Erfahrung.

Er mußte den Säuger schnellstens abschütteln und dann für die Nacht zum Nest zurückkehren. Weil es gut versteckt war, müßte er es eigentlich bis zum Morgen an Ort und Stelle belassen können.

Aber der Säuger wollte nicht von seiner Spur ablassen. Er fiel zurück, aber nie weit genug, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Spuren zu tilgen. Er war in Schwierigkeiten.

Dann fand ihn ein Fung. Nur mit Mühe hatte es Orn gelernt, diese Pflanzenkreaturen zu verstehen, denn sie waren seinen Ahnen völlig fremd. Jetzt konnte er sie ziemlich leicht identifizieren. Sie schossen schneller als jede andere Kreatur über Land und Wasser, und ihre Attacke war tödlich. Aber sie kämpften nur um ihrer Nahrung willen und für die beiden befreundeten Säuger. Orn machte sich wegen der Fungs keine Sorgen.

Nun begriff er, daß seine Gegenwart eine Entwicklung in dem Konflikt mit den Raubsäugern anzeigte. Aber er war unfähig, mit der Kreatur zu kommunizieren.

Der Fung ließ sich vor ihm nieder und nahm seine stationäre Form an. Obgleich Orn es sich nicht erlauben konnte, lange zu warten, wußte er doch, daß es für seine Gegenwart ein Motiv gab. Er betrachtete den Fung aus nächster Nähe.

Die Kreatur war verletzt. Flüssigkeiten sickerten aus ihr heraus.

Da wußte Orn, daß die befreundeten Säuger unterlegen waren. Dies war der Circe-Fung, Begleiter der Qui- lon. Er war von einer Räuberwaffe getroffen worden. Er war gekommen, um ihm das zu zeigen.

Niemand außer Orn blieb übrig, um das Nest zu schützen - und der Räuber war hinter ihm her.

Die Geräusche des Verfolgers wurden lauter. Orn mußte wieder laufen.

Der Fung richtete sich auf, erhob sich schwankend in die Luft und richtete sich aus. Es gab keinen Zweifel, daß er Schwierigkeiten hatte. Von seiner normalen Eleganz und Schnelligkeit war nichts mehr zu sehen.

Er bewegte sich dem Raubsäuger entgegen.

Orn begriff, daß der Fung, behindert wie er war, den Säuger angreifen wollte.

Das mochte den Säuger eliminieren oder so aufhalten, daß Orn sicher zum Nest gelangen konnte.

Er rannte zum Bach, stieg hinein und fand ein anderes kleines Rep, das er zwang, ihn zum Nest zurückzu- bringen.

Alles war in Ordnung. Die Eier waren noch warm, und das Baby schlief.

Orn setzte sich auf das Nest und erhöhte die Temperatur der Eier, während er seinen Schnabel in den Brei steckte, den die Quilon vorbereitet hatte. Als das Baby erwachte, schob er ihm eine Portion dieses Breis in den Mund, hielt dabei mit einem Flügel seinen Kopf aufrecht, fing geduldig das Ausgespuckte auf und schob es zurück in den Mund. Als das Baby nicht mehr wollte, führte Orn das schwierigste Ritual durch. Er nahm einen Schalenteller in seinen Schnabel, trug ihn zu den nahen Bach, schöpfte ihn voll Wasser, brachte ihn zurück und setzte ihn am Rand des Nests ab. Dann nahm er eins der hohlen Rohrstücke und schob ein Ende in den Teller, das andere in den Mund des Babys. Das Baby saugte. Wasser floß durch die Röhre in seinen Mund. Auf diese Weise trank es.

Orns Fürsorge für das Baby war eine weitere Funktion seines Gedächtnisses. Seine Ahnen hatten gelegentlich danach getrachtet, das Leben junger Tiere, Nachkommen der geschlagenen Beute, zu bewahren. Diese Jungen konnten heranwachsen, um zur Beute zu werden, wenn diese knapp war - es handelte sich also um ein Überlebenstalent. Selbst ein gerade geschlüpftes Küken, konfrontiert mit einem hilflosen Säugerjungen, würde ähnlich gehandelt haben - Teilen der Nahrung, Rohrstengel schneiden, Wasser holen, für Wärmeschutz sorgen. Es war eine Symbiose, die sich in der Zeit der Herrschaft der großen Reps ganz natürlich ergab.

Jetzt säuberte er das Nest. Das Säugerbaby war, wie alle Säuger, ein großer Wasserverarbeiter. Es nahm erhebliche Mengen zu sich und gab sie fast fortwährend wieder ab. Das Nest war so gemacht, daß der größte Teil der Flüssigkeit durchsickerte und auf den Boden fiel, aber nach einiger Zeit säuerte die feuchte Nestpolsterung und rief ein Geruchsproblem hervor. Orn zupfte Büschel heraus und ersetzte sie sorgsam durch neue. Dies nahm zwar Zeit in Anspruch, war jedoch notwendig und natürlich.

Das Baby schlief.

Orn bedeckte es und die Eier und schlief ebenfalls.

Am Morgen ließ Orn das Nest gut isoliert zurück und machte sich auf den Weg, um zu jagen und Erkundigungen einzuholen. Er traf keine besonderen Vorkehrungen, um seine Spuren zu verbergen, denn er beabsichtigte, das Nest an einen besseren Ort zu bringen.

Zuerst überprüfte er den Raubsäuger. Der Fungus war nicht mehr da, und der Säuger war verwundet. Es war offensichtlich zu einem mörderischen Zusammentreffen gekommen. Orn sah den Säuger nicht selbst, er sah die Stätte des Kampfes, den aufgewühlten Boden, der mit Blut durchtränkt war - Säugerblut und Fungflüssigkeit -, und die Fleisch- und Knochenstücke, die einst die fünf Glieder gewesen waren, mit denen er die Blitzwaffe manipulierte. Er sah die geplatzte Haut des Fungs, die Linse des großen Auges, einige Muskelstücke des Fußes, aber sehr wenig vom Hauptkörper. Das war eigenartig, denn die Aasfresser-Insekten hatten noch keine Zeit gehabt, die Masse zu verzehren.

Der Säuger hatte überlebt, schwer verletzt, aber er war noch immer unterwegs, um nach Orn und dem Nest zu suchen.

Orn dachte daran, den Säuger anzugreifen. Er befand sich in geschwächter Verfassung, und Orn war stark. Er mochte jetzt imstande sein, ihn zu töten. Aber wenn der Säuger noch seine Feuerwaffe besaß und trotz des Verlusts seiner kleinen Knochen eine Möglichkeit hatte, sie zu benutzen, konnte Orn nicht siegen. Ein Tyrann mochte verkrüppelt sein, aber seine Zähne waren noch immer scharf! Orn ließ den Säuger in Ruhe.

Er erlegte ein kleines Brachrep, verzehrte davon und kehrte zum Nest zurück. Es war jetzt heller Tag. Das Suchnetz des Säugers zog sich enger. Er mußte das Nest verlegen.

Er steckte seinen Hals durch die Zügel und zog. Er würde es in eine warme Höhle oben in der Gebirgskette bringen. Dort konnten die Eier ständig warm bleiben, und das Baby würde geschützt sein. Höhlen waren gute Nistplätze - mitunter.

Aber der Weg dorthin war schwierig. Er mußte die Territorien von zwei Raubreps durchqueren, verlangsamt durch das Nest und verfolgt von dem Säuger. Er mußte die Ausläufer einer Schlammsenke passieren. Dann kam der steile Hang, wo er der Blitzwaffe des Säugers ausgesetzt sein würde.

Orn kalkulierte die Wetten nicht. Er zog los.

Er kam sicher durch die Region des Tyranns. Einst war dieses Gebiet das Territorium eines größeren Tyrannen gewesen, der die Quilon den Berg hinauf verfolgt hatte und in der Kälte umgekommen war. Der neue Tyrann hatte sich noch nicht ganz an das vergrößerte Areal gewöhnt. Er mochte schlafen oder anderweitig beschäftigt sein.

Aber der zweite Repräuber, ein Struth, erwischte ihn. Struth ähnelte Orn so weit, wie es ein Rep nur konnte. Er hatte lange Beine, einen schlanken Hals und wog ungefähr zweimal soviel wie Orn. Deshalb betrachtete er Orn als unmittelbaren Konkurrenten.

Mit einem Aufschrei der Entrüstung griff Struth an. Orn wand sich aus den Zügeln und schoß um den Karren herum, um sich dem Rep entgegenzustellen. Er würde kämpfen müssen, sonst verschlang Struth die Eier und das Baby.

Orns Ahnen hatten viel Erfahrung mit Struth gehabt. Das Rep war hart. Nur am kühlen Morgen, wenn die Bewegungen und Reflexe des Reps verlangsamt wurden, konnte Orn es mit ihm aufnehmen.

Jetzt war Morgen.

Orn wich seitlich aus, als Struth angriff. Er riß einen Fuß hoch und benutzte die scharfen Krallen, um die Seite des Reps mit einem kraftvollen Abwärtshieb aufzureißen.

Es war ein Volltreffer. Ein weichhäutiger Säuger wäre entleibt worden. Aber die zähe Haut des Reptils schützte es, so daß es lediglich einen häßlichen Kratzer davontrug und das Durchtrennen mehrerer kleiner Muskeln hinnehmen mußte. Inzwischen wirbelten seine Zähne herum und schnappten nicht weit von Orns Hals in die Luft.

Aber Orn war auf diese Bewegung vorbereitet. Sein Schnabel stieß nach vorne und zielte nach dem Auge des Reps. Die Kreatur schrie vor Schmerz und wich zurück.

Abermals hob Orn den Fuß, um einen Hieb gegen die Weichteile zu führen, seine beste Technik. Aber die Kiefer des Reps schlössen sich um seinen erhobenen Fuß, denn Struth war größer als er.

Verzweifelt schlug Orn augenblicklich mit dem Schnabel zu, löschte auch das zweite Auge aus. Das Rep ließ los, aber Orns Fuß war zerfleischt.

Mit dem gesunden Fuß führte er einen weiteren Schlag gegen den blinden Struth. Diesmal erzielte er Wirkung. Mit hervorquellenden Eingeweiden brach das Rep sterbend zusammen. Wild schnappte es nach seinen eigenen Därmen und versuchte, den Schmerz einzudämmen.

Orn nahm sich nicht die Zeit, Nahrung aufzunehmen, so verlockend der Anblick der hervorsprießenden Innereien auch war. Der Säuger würde zu ihm aufschließen! Er kehrte zum Nest zurück, schob den Hals durch die Schlinge und hinkte los. Die Belastung des verletzten Fußes bereitete ihm zunehmend Schmerzen, aber er ging krampfhaft weiter.

Er erreichte die Schlammebene. Der Schlamm war heute heiß. Riesige Blasen formten sich, dehnten sich aus und zerplatzten. Aber eine Umgehung dieses Gebiets würde seinen Weg erheblich verlängern und ihn zurück durch Tyranns Territorium führen. Lahm wie er war, durfte er das nicht riskieren.

Der beste Überweg würde ihn dicht an mehrere der größten Blasenlöcher heranbringen. Allein mochte er es schaffen, selbst mit seiner Verletzung. Das Nest zu ziehen, machte es jedoch weitaus schwieriger. Wenn er es allerdings schaffte, würde der kochende Schlamm eine Barriere gegen den Säuger bilden, vielleicht eine tödliche.

Er bewegte sich vorwärts, schlängelte sich mit der Inspiration der Verzweiflung an den heißen Löchern vorbei. Er mußte das Nest ständig in Bewegung halten, denn die Räder drohten in die weiche Oberfläche einzusinken.

Er hörte ein Geräusch. Sein Kopf fuhr herum. Der Raubsauber war aus dem Wald aufgetaucht. Er war von oben bis unten umhüllt. Stöcke waren an seinen Gliedern festgebunden, und Gewebe bedeckte seinen Torso

- nicht sein normales ablegbares Gefieder, sondern fest sitzende Verbände auf den Wunden. Orn brauchte über den Kampf nicht nachzusinnen. Seine Beobachtung der Stätte, an der es zum Zusammenstoß mit dem Fung gekommen war, und die gegenwärtige Verfassung des Säugers reichten aus, das Bild zu formen.

Der Fung hatte zuerst nach der Waffe geschlagen und sie neutralisiert, wodurch der Säuger auf sich selbst gestellt wurde. Als nächstes hatte der Fung auf den breiten Nacken des Säugers gezielt. Der Säuger hatte den Nacken mit seinen Gliedern geschützt, und so waren diese Glieder tief zerschlitzt worden: Fleisch vom Knochen. Aber als der Säuger den Fung einmal mit seinen Anhängseln gepackt hatte, war dieser zerrissen und getötet worden. Danach hatte der Säuger seine Wunden verbunden, um den Verlust der Körperflüssigkeiten zu stoppen, und mit den Stöcken die Knochen gestützt. Und dann hatte er die Verfolgung Orns fortgesetzt. Ein gewaltiger Räuber!

Eine riesige Blase entstand fast unter Orns Füßen. Es war eine, die langsam aufstieg und vorher kein Anzeichen von ihrer Gegenwart erkennen lassen hatte.- Orn hatte dieses Wegstück als sicher angesehen.

Er machte einen Satz nach vorne und versuchte, die Karre in Sicherheit zu bringen. Aber die Räder waren tief in den Schlamm eingesunken, den die Blase gelöst hatte. Es gelang ihm lediglich, sie unmittelbar in den Luftraum zu ziehen, als es zur Eruption kam.

Die Karre kippte um, ließ erst ein Ei in den heißen Schlamm rutschen, dann ein zweites. Das Baby wimmerte. Orn schlug mit den Flügeln, um sich gegen die Luft zu stemmen. Aber die Zügel behinderten ihn.

Die Blase zerplatzte. Sengendes Gas hüllte Orn ein. Er kreischte in Agonie, inhalierte dann den Dampf in seine Lungen.

Innerlich und äußerlich brennend versank Orn in der Blase. Als ihn die Hitze darin kochte, nahmen seine glasigen Augen ein Glühen mit vielen funkelnden Punkten wahr. Es umfing das Nest, das letzte noch verbliebene Ei und das Säugerbaby.

Dies war die eine Erfahrung, die Orns Vorfahren ihm nicht hatten vererben können: der Tod des Individuums. Hitze, Schmerz und eine Wolke aus Licht.

Schlammverklebte Federn. Versinken.

Am eigenartigsten daran war die offensichtliche Überraschung des beobachtenden Räubers. Der Säuger starb nicht. Wieso teilte er Orns Erfahrung?